„Im Theaterspiel lernt man alles, was man im Leben lernen muss“

Renée Wieder interviewt Michael Stieleke, Rheinische Post, 14. März 2013

Es war bei Ihrem Terminkalender nicht leicht, Sie zu treffen…
STIELEKE Naja, soeben hatten wir die Vorpremiere von „Ingrimm“. Die Vorbereitungen des Festival „Maskerade“, die am 13. beginnt, gehen in die heiße Phase. Heute kommt die Jury des Theatertreffens der Jugend Berlin. Wir sind wieder für die Zwischenauswahl nominiert. Und „nebenbei“ unterrichte ich, muss Klausuren korrigieren.

Sie sind sehr beschäftigt für einen, der aussteigen will.
STIELEKE Aussteigen ist das falsche Wort. Sagen wir mal, im Alter von 60 Jahren und nach 30 Jahren als künstlerischer Leiter der Theater AG halte ich den Zeitpunkt für günstig, Verantwortung zu übergeben. 

Das Goethe-Schülertheater ist über die Stadtgrenzen hinaus bekannt.  Werden Sie den Rummel vermissen?
STIELEKE Oh ja. Ich sag Ihnen ganz ehrlich, ich weiß nicht, wie’s mir im Sommer geht, wenn ich bei der Themenfindung für die nächste Saison nicht mehr dabei bin.

Aber Sie sind doch noch da, drei Jahre lang.
STIELEKE Jaja. Aber das, was eigentlich mein Herz bedient, war immer die Theaterarbeit mit den Schülern. Wir konnten auf Augenhöhe miteinander arbeiten und hervorragende Ergebnisse erzielen. Da zieht sich niemand raus, so wie im normalen Unterricht. Das sind hoch motivierte, talentierte Jugendliche.

Wie kamen Sie vor 30 Jahren eigentlich an die Theater AG?
STIELEKE Ich fand Theater damals langweilig. Ich war ein Kinogänger. Als ich an der Schule anfing, gab es einen recht kreativen Jahrgang, der Theater spielen wollte. Da war ich plötzlich Spielleiter.

Und wie fingen Sie Feuer?
STIELEKE Nachdem wir eine Weile den klassischen Kram gemacht hatten, wollte ich plötzlich mehr wissen, ging zu Fortbildungen, ins Theater, auf Festivals.  Als wir dann 2002 mit unserer Produktion „Yvonne, die Burgunderprinzessin“ zum ersten Mal zum Theatertreffen der Jugend in Berlin  (TTJ) eingeladen wurden, da wusste ich, das hier wird was ganz Besonderes. 

Ihr Berufsweg als Lehrer war eher ungewöhnlich.
STIELEKE Ich wollte immer Lehrer sein. Und beim Theater erreichen wir das höchste Ziel, das ein Lehrer erreichen kann. Wir sehen, wie die Kinder eine Persönlichkeit entwickeln, ihre Kräfte kennen lernen. Und sie gehen am Ende mit einem unendlichen Optimismus in die Welt hinaus, weil sie gesehen haben, was sie können.

Was braucht das Schülertheater noch?
STIELEKE Politische Unterstützung.  Wir hier am Goethe machen das Theater zusätzlich zum normalen Betrieb. Man müsste das Schülertheater stärken, indem man dafür Unterrichtsstunden frei gibt. AG- Stunden gewichtet wie einen Grundkurs. Das Theater bringt Jugendlichen so vieles bei, was der Unterricht nicht vermitteln kann.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
STIELEKE Weiter das Bewusstsein  in den Leuten zu wecken, dass Schülertheater eine besondere Qualität hat. Wenn ich das erreichen könnte, wäre mein Klassenziel erreicht. Entscheidend ist, dass Jugendliche hier ihren Blick auf die Welt erzählen können. Sie sollen das Theater neu entdecken und lieben, lernen. Und wenn sie Inszenierungen sehen, die ihnen nicht gefallen, sollen sie formulieren können, was ihnen nicht gefällt. Beim Theaterspielen lernen sie alles, was man im Leben lernen muss.

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