Mehr Börse, Beben, Bio

von Julia Schnatz, HNA, 19. Mai 2012

Ensemble des Düsseldorfer Goethe-Gymnasiums zeigte Aktualität von Kleists Werken

KORBACH. Gefühlsterrorist, Träumer und Phantast – Heinrich von Kleist zählt zu den bedeutendsten Dichtern der deutschen Sprache und zu den undurchschaubaren Figuren seiner Zeit. Sein rastloses Dasein, seine innere Zerrissen­heit und seinen frühen Tod brachte die Theatergruppe des Düsseldorfer Goethe‑Gymna­siums in einer überwältigen­den Inszenierung ihres Stü­ckes „Kleist oder die Kunst des Stolpems“ während der Thea­terwoche auf die Bühne.

Kleist hat das Stolpern zur Kunstform erhoben, seine wu­chernde, haspelnde Sprache in all seinen Werken ver­schlägt einem buchstäblich den Atem. Atemlos schienen auch die Zuschauer in der Stadthalle. Mit körperbeton­tem Spiel, atmosphärisch ab­wechslungsreichen Szenen und eindringlichen Musikstü­cken näherte sich die Düssel­dorfer Laienspielgruppe dem Dichterfürsten und bot eine wahrhaft atemberaubende Komposition, über die Kleist gestaunt hätte.

Gleichsam stolpernd und hastend bewegen sich die Schauspieler auf der Bühne, nach Atem ringend sprechen sie ihre Texte.

Die Kostüme sind schlicht gehalten, die Requisiten auf der Bühne an einer Hand ab­zählbar. Das Ensemble setzt auf grelle Farben und Videos, die das Gespielte atmosphä­risch untermalen. In jedem einzelnen Bild, in jedem ein­zelnen Wort machen die Düs­seldorfer Schüler kraftvoll deutlich: Kleist war einer, dem auf Erden nicht zu helfen war.

Die Produktion ist das Er­gebnis einer intensiven Re­cherche und einem Gespür für die passende Darstellung: Punktuell und fragmentarisch griffen die Schüler einzelne Szenen seiner bedeutendsten Werke auf und veranschau­lichten so den zerbrechlichen Charakter Kleists. Seine Texte bilden dabei die Plattform für die Auseinandersetzung mit der Welt. „Die Welt gerät aus den Fugen“, heißt es in Kleists Penthesilea.

Kleist hat Werke geschaf­fen, die heute aktuell wie kaum zu vor sind. „Mehr Bör­se, mehr Beben, mehr Bio“, ruft eine Schauspielerin. „Man muss im Leben immer einen Fuß vor den anderen setzen, schön geradeaus gehen. Wenn Steine auf dem Weg liegen ‑ einfach einen großen Schritt machen. Solange man dabei nicht zu viel nachdenkt, klappt das schon. Denkt man doch, so stolpert man.“

Kleist erschießt sich am 21. November 1811 im Alter von nur 34 Jahren. Seine von Ge­walt geprägte Welt war aus den Fugen, die alte Ordnung war zunichte, für ihn gab es keinen Ausweg mehr. Das Ver­trauen vieler in die Welt war verloren. Wie heute. Mehr Börse, mehr Beben, mehr Bio.

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